Auf dem Comic-Salon Erlangen 2024

oder die Abenteuer des kleinen Medienhobbits bei seinem ersten Besuch auf dem Jahrmarkt der sequentiellen Kunst, welcher vom 30. Mai bis 2. Juni 2024 zum 21. Mal in Erlangen stattfand.

2023 besuchte ich das erste Mal eine echte Convention (Metropolcon in Berlin) sowie eine echte Buchmesse im Normalbetrieb (BuCon in Dreieich). Der nächste logische Schritt: der Comic-Salon in Erlangen, welcher nur alle zwei Jahre stattfindet. Gleich am ersten Tag (30. Mai) ging es mit phantastischer Begleitung am Vormittag per Zug in die Stadt, welche ich bisher fast nur wegen der dortigen Universitätsaugenklinik besucht hatte.

Der Comic-Salon ist traditionell über die gesamte Innenstadt verteilt. Neben vier Hallen mit Verlagen, Künstler*innen und weiteren Austeller*innen gibt es auch diverse Ausstellungen, Gespräche mit Künstler*innen, Vorträge und Workshops. Auf Empfehlung meiner Mitreisenden ging es zu Beginn gleich zu Halle B, wo z.B. der von mir sehr geschätzte Verlag Reprodukt (u.a. Donjon) zu finden war. Beim Stand vom Atlantis-Verlag, wo auch das überwiegend von Personen aus Unterfranken geschriebene Magazin Phantastisch! erscheint, war die Comic-Künstlerin und Illustratorin Frauke Berger anwesend und zeichnete für die Besucher*innen. In mein gekauftes Exemplar ihrer ganz neuen Science-Fiction-Graphic.Novel Fly Me to the Moon zeichnete Frauke einen Astronauten mit Widmung. Vielen Dank. Auf die Lektüre bin ich gespannt.

Impressionen aus Halle D

Ansonsten ließ ich mich durch die Messehallen treiben und war verblüfft, dass es doch einige Comic-Verlage gibt, von denen ich bisher nichts gehört hatte. Leider war es in den Hallen immer eher warm und stickig, so dass zwischenzeitliches Frischluft-Tanken notwendig wurde. Das Wetter gestaltete sich etwas wechselhaft, immer wieder gab es kleine Regengüsse. Ab 16:00 Uhr fand in der Orangerie im Schlossgarten das Künstlergespräch mit Joann Sfar statt. Der französische Zeichner, Autor und Filmemacher wurde dieses Jahr mit dem Max-und-Moritz-Preis (der wichtigsten Auszeichnung hierzulande für sequentielle Kunst) für seinLebenswerk ausgezeichnet. Schwerpunkt des Gesprächs mit dem Moderator, der Sfars Ausführungen übersetzte, waren dessen beiden neuen Werke Die Synagoge (2023) und Der Götzendiener (2024), beide auf Deutsch im Avant-Verlag erschienen, welche sich mit den Eltern des 52jährigen Franzosen befassen. Ersteres mit dem Vater sowie dessen toxischer Männlichkeit und letzteres mit der Beziehung und Abwesenheit der Mutter, die starb als Joann dreieinhalb Jahre alt war.

Das Judentum spielt im Werk Sfars eine zentrale Rolle, doch weniger als Religion, sondern als Kultur, etwa in Form von Literatur. Wie Joann Sfar verriet, erhielt er seine Sexualaufklärung dadurch, dass sein verwitweter, gutaussehender und wohlhabender Vater ein ziemlicher Frauenheld war. Sein bekanntestes Werk, Die Katze des Rabbiners (2001-2021), spiegelt wider wie sich Joann als Kind gefühlt hat, als Außenseiter, der eher wie ein Haustier zur Familie gehört. Sfar sprach auch über seine Arbeitsweise. Er zeichne meist acht Stunden am Tag, was ihn wenig Mühe bereitet. Eine generelle Herangehensweise habe er allerdings nicht. Manchmal wird vorher eine Geschichte geplant, manchmal spontan gezeichnet.

Joann Sfar beim Gespräch

Die seit 25 Jahren erscheinende Fantasy-Serie Donjon, bei der gemeinsam mit Lewis Trondheim die Plots und Storyboards entstehen, welche dann von unterschiedlichen Zeichner*innen umgesetzt werden, bildet eine kuriose Mischung aus Dungeons & Dragons, Conan der Barbar und The Muppet Show. Ich persönlich verehre Joann Sfar alleine für diese herrlich absurd-komische, sarkastische Comicserie, die aus einer Haupt- und mehreren Nebenreihen besteht, und besonders für die Figur des idealistischen Vigilanten Das Hemd der Nacht. Zugegebenermaßen habe ich davon allerdings bisher nur die Morgengrauen-Teile und wenige Einzelbände gelesen. Die Stunde mit Joann Sfar gestaltete sich sehr aufschlussreich. Ein guter Abschluss meines ersten Comic-Salon-Tages. Nach mehreren Stunden Herumlaufen und meine nicht unbedingt leichte Comic-Ausbeute dabei -schleppen trat ich etwas müde bei der nächsten Gelegenheit die Heimreise an.

Bei gleichem Wetter erlebte ich meinen zweiten CSE-Tag am Freitag (31. Mai 2024). Nach einem kurzen Abstecher in einer der Messehallen ging es zu einem Panel im Kollegienhaus der Universität zum Thema „Perspektiven der Bayerischen Comicszene“. Moderiert von Podcaster Andreas Prill gaben Dr. Elisabeth Donoughue (Referentin für Literaturförderung im Bayerischen Kultusministerium), Jonas Grund von der Initiative Comics in Bayern, Igor Barkan (Mitorganisator des Comicfestivals in München) und die deutsche Mangaka Mim von Pushcart ein Update zur Situation des Comics im Freistaat. Außerdem ging es um die Möglichkeiten der besseren Vernetzung und wie man jüngere Leser*innen besser an das Thema Comics heranführen könnte. Wie eine Zuschauerin erklärte, gibt es in Österreich ein Programm an Schulen zur kostenlosen Verteilung von Comics mit kindgerecht aufbereiteten wissenschaftlichen Thematiken. Für mich war das Panel ein erster interessanter Einblick in mein Heimatbundesland als Comic-Standort.

Originalcover von Joann Sfars „Die Götzendiener“

Im Anschluss folgte ein Highlight des ganzen Salons. Die Ausstellung zu Leben und Werk von Joann Sfar im Stadtmuseum. Zwar lag der Schwerpunkt auf Die Katze des Rabbiners, doch umfassten die Exponate, Texttafeln und Videomaterialien auch das mannigfaltige Gesamtwerk des französischen Comic-Stars. Ich war von den zahlreichen Ausstellungsstücken (vor allem die Notizbücher mit Originalzeichnungen und den treffenden Weisheiten) sowie der Vielfältigkeit von Sfars Arbeiten ziemlich begeistert und ständig am Fotografieren, was eher untypisch für mich ist. Die Menge an Bildern würden den Rahmen des Beitrags sprengen. Ich kann jede*r Comicbegeisterte*n nur raten, sich die Ausstellung noch bis einschließlich 1. September 2024 im Stadtmuseum Erlangen anzusehen.

Aus Joann Sfars „Die Katze des Rabbiners“

Weil die Live-Aufzeichnung der neuen Folge des Comic-Podcasts POW! wegen der wechselhaften Witterung von der DATEV-Lounge draußen in einen Seminarraum des Kollegienhauses verlegt worden war kam ich neben ein paar anderen Zuschauer*innen leider ein wenig spät dort an. Doch die drei Podcaster Mattes, Andreas Wolf und Steffen Volkmer (auch Redakteur bei Panini und letztes Jahr auf der Metrolcon zugegen) ließen sich von späteren Ankömmlingen nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, die Atmosphäre blieb trotz einer Live-Aufnahme angenehm ungezwungen. Thema war die Comicserie Scott Pilgrim sowie deren Real-Verfilmung und Anime-Adaption. Bei Panini nahm man letztere Produktion zum Anlass, die Wiederveröffentlichung der Comicreihe komplett in Farbe zu starten. Band 1 ist im April erschienen, die fünf weiteren Bände sollen auf jeden Fall folgen.  

Während Steffen aus beruflichen Gründen zuerst die Bücher von Bryan Lee O‘Malley gelesen hatten fanden Mattes und Andreas Wolf über die Film-Adaption von Edgar Wright zu Scott Pilgrim. Alle drei waren sich einzig, dass sie mit der Anime-Serie eher nicht warm geworden sind. Steffen gewährte auch ein wenig Einblick in die Entstehung der deutschen Version des Comics. Gemeinsam mit dem Publikum driftete das Podcaster-Trio auch immer wieder in nerdige Details ab. Eine spaßige, kurzweilige Stunde verging wie im Flug. Danke dafür! Die fertige POW!-Folge erscheint übrigens am 10. Juni 2024.

Mattes, Andreas Wolf und Steffen Volkmer

Auch am dritten Tag (Samstag, 1. Juni 2024) des Salons reiste ich nach Erlangen. Neben Spontankäufen, die meinen SuC weiter erhöhen, führte mich mein Weg ins Kunstmuseum zur Ausstellung über die Comicwelten der deutschen Zeichnerin und Autorin Olivia Vieweg. Trotz einer eher kleinen Menge an Exponaten wurde die inhaltliche Vielfältigkeit Viewegs deutlich. Die 36jährige schuf bisher nicht nur Endzeit, die Geschichte zweier junger Frauen und ihrer gemeinsamen Reise durch Ostdeutschland in der Zombieapokalypse (2021 erschien eine Verfilmung), sondern auch Neuinterpretationen bekannter Klassiker wie Huck Finn und Antigone. Viewegs neuestes Werk Fangirl Fantasy handelt von drei sehr hingebungsvollen weiblichen Fans, die ihren Lieblingsschauspieler entführen. Der überwiegende Anteil der ausgestellten Stücke entfiel auf Originalzeichnungen. Außerdem gab es zu jedem Werk einen kurzen Videoclip der Künstlerin. Nur einen kurzen Blick warf ich auf die Ausstellung zum ältesten Comicstrip der Welt Katzenjammer Kids. Die Serie wurde von dem Deutschen Rudolph Dirks nach seiner Emigration in die USA erfunden und wurde dort von 1897 ununterbrochen bis 2006 veröffentlicht. Beide Ausstellung sind noch bis einschließlich 7. Juli im Kunstmuseum Erlangen zu sehen.

Originalzeichnung aus Olivia Viewegs „Fangirl Fantasy“

Unter dem Titel „Comic Film Fest“ wurden in den Kinos der Stadt auch Animationsfilme gezeigt. Als Abschluss meines ersten CSE-Besuches sah ich mir in den Lamm-Lichtspielen Sultanas Traum von Isabel Herguera an, der an sich im März seinen regulären Kinostart in Deutschland hatte, in Würzburg aber natürlich nicht gezeigt worden war. Was bin ich froh, die spanisch-deutsche Co-Produktion auf der großen Leinwand erlebt zu haben! Die Geschichte einer baskischen Zeichnerin, die im Indien der Gegenwart der Spur von Rokeya Sakhawat Hussain (1880-1932), Autorin der titelgebenden feministisch-utopischen Novelle, folgt, liefert wundervolle Animationen, wie man sie selten zu sehen bekommt. Den letzten Salon-Tag am heutigen Sonntag blieb ich zuhause, um das Erlebte zu verarbeiten. 😉

Eine wundervolle Veranstaltung über eine besondere Kunstform, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auf vielfältige Weise weiterentwickelt hat und dennoch leider immer noch ein ziemliches Nischendasein fristet. Vielen Dank an das Team des Comic-Salons Erlangen!

Das letzte Wort überlasse ich Joann Sfar.

2 Responses to Auf dem Comic-Salon Erlangen 2024

  1. […] eines Events in Mittelfranken nach Hause gekommen bin.—Beiträge der WocheThe Hour: Staffel 1Auf dem Comic-Salon Erlangen 2024—Fragen der Woche1. Wisst ihr was mich zuletzt so richtig begeistert hat? Der Besuch des […]

  2. […] Eigenschaft als eine Hälfte von Unter Vieraugen höre ich natürlich auch gerne Podcasts. Beim Comic-Salon Erlangen 2024 gab es die Gelegenheit, live bei der Aufnahme eines dabei zu sein.—Eigentlich war der Plan, […]

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