Spontan entschloss ich mich diese Woche, der bei der Erstsichtung im Kino vor dreieinhalb Jahren als durchwachsen empfundenen Neuverfilmung von Mord im Orientexpress, basierend auf dem Roman von Agatha Christie, durch Kenneth Branagh (Regie und Hauptrolle) eine zweite Chance zu geben. Konnte mich der Film bei der Wiederholungssichtung mehr überzeugen?
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Murder and Moustache
Spoiler: Konnte er nicht. Aber dazu später mehr.
1934. Nachdem Hercule Poirot (Kenneth Branagh) einen Diebstahl an der Klagemauer in Jerusalem aufklären konnte, wird er für einen neuen Auftrag nach London zurückbeordert. Zufällig trifft der belgische Detektiv auf seinen Landsmann Monsieur Bouc (Tom Bateman), dem Direktor des Orientexpresses, der ihm einen Platz in der ersten Klasse reservieren lässt. Die zweite Nacht endet für Poirot, Bouc sowie die illustren weiteren Passagiere des Zuges mit zwei dramatischen Vorfällen. Der Zug steckt irgendwo in Jugoslawien in einer Schneeverwehung fest. Außerdem findet man den Geschäftsmann Mr. Ratchett (Johnny Depp) tot in seinem Abteil vor, ermordet durch zwölf Messerstiche. Auf Bitten Boucs nimmt Poirot sogleich die Ermittlungen auf. Nach einer ersten Beweisaufnahme befragt der Meisterdetektiv die übrigen Zuggäste, darunter die geschwätzige Witwe Mrs. Hubbard (Michelle Pfeiffer), die russische Prinzessin Dragomiroff (Judi Dench), die Gouvernante Mary Debenham (Daisy Ridley) sowie Ratchetts Sekretär Mr. MacQueen (Josh Gad) und seinen Diener Masterson (Derek Jacobi). Alles deutet darauf hin, dass der Mord im Zusammenhang mit einem vor Jahren in den USA begangenen anderen Verbrechen in Zusammenhang steht…
Die Frage nach der Notwendigkeit einer Neuverfilmung des bekannten Romans der renommierten Krimiautorin Dame Agatha Christie (1890-1976) stellte sich auch nach der Sichtung von Branaghs Version des Zugreisen-Whodunits. Schließlich gibt es mit Sidney Lumets Kinoversion von 1974 (mit Albert Finney als Poirot und einer unerreichten Starbesetzung) und der entsprechenden Folge aus der TV-Serie Poirot (mit David Suchet als belgischem Detektiv) bereits zwei jede für sich hervorragende Umsetzungen. Zwar präsentiert die neueste Adaption den Stoff einer neuen Generation von Kinozuschauern, aber insgesamt erscheint mir die 2017er Version auch nach der zweiten Sichtung immer noch als mäßig. Die bereits beim ersten Mal aufgetretenen Probleme fielen mir umso stärker auf.
Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh, den ich aufgrund seiner hochklassigen Shakespeare-Adaptionen (u.a. Viel Lärm um Nichts [1993] und die Volltext-Adaption von Hamlet [1996]) sehr schätze, schafft es in nicht einmal zehn Minuten den liebenswert-exzentrischen, belgischen Meisterdetektiv Hercule Poirot völlig der Lächerlichkeit preiszugeben, vor allem indem Branagh dessen Marotten dem Zuschauer mit dem Holzhammer einprügelt. Bei Albert Finney, Peter Ustinov (der Poirot je dreimal für Kino und Fernsehen verkörperte und ihm auf gelungene Art seinen eigenen Stempel aufdrückte) und David Suchet gestalteten sich die Performances überaus stimmig. Branaghs Poirot wirkt auf mich über weite Strecken aufgesetzt und teilweise beinahe unfreiwillig komisch. Gemeinsam mit seinem eindimensionalen Bösewicht aus Tenet (2020) die schlechteste Karrierevorstellung des so begnadeten Schauspielers. An dieser Stelle bitte ich darum, dem Film im Nachhinein noch die Goldene Himbeere für das schlechteste Leinwandpaar (Branagh und sein unfassbar peinlich-unecht aussehender Schnurrbart) zu verleihen!
Drehbuchautor Michael Green bringt es leider nicht wirklich auf die Reihe, die Story des Romans und deren innewohnende Dramaturgie organisch aufzuziehen. Stattdessen werden kurz vor Schluss noch ein paar Details aus dem Ärmel geschüttelt, was unglücklich konstruiert wirkt. An sich ist die Neuadaption solide inszeniert und wartet mit einem ähnlich hochkarätigen Ensemble wie der Vorgänger von 1974 auf. Nur werden die meisten dieser namhaften Akteure in kleinen Rollen verschenkt. Das bringt die Figurenkonstellation der Vorlage mit sich, aber in früheren Adaptionen wurde es einfach besser umgesetzt. Insgesamt erweist sich „Mord im Orientexpress 2017“ über weite Strecken als ziemlich plakativ, nicht nur in der Darstellung seines Protagonisten. Da passen die beiden völlig überzogenen Actionszenen und das völlig übertheatralische Finale leider sehr gut ins Bild.
Der ursprünglich für Oktober 2020 anvisierte Kinostart des nächsten Whodunit-Krimis mit Branagh als Poirot, Tod auf dem Nil, wurde mittlerweile auf Februar 2022 verschoben. Irgendwie will ich ja schon wissen, ob der Regisseur diesen Roman filmisch ebenso in den (ägyptischen) Sand setzt wie ihm die Mord-im-Zug-Geschichte entgleist ist.
Mord im Orientexpress von 2017 ist auf DVD und BluRay erhältlich sowie Teil des Angebots diverser Streaminganbieter.
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Mord im Orientexpress (Murder on the Orient Express)
Krimi USA 2017. FSK 12. 114 Minuten. Mit: Kenneth Branagh, Tom Bateman, Penélope Cruz, Willem Dafoe, Judi Dench, Johnny Depp, Josh Gad, Derek Jacobi, Leslie Odom Jr., Michelle Pfeiffer, Daisy Ridley u.a. Regie: Kenneth Branagh. Drehbuch: Michael Green. Nach dem Roman von Agatha Christie.
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Credits
Bilder (c) Fox.