Am 4. März 2022 feierte Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens von Friedrich Wilhelm Murnau 100. Geburtstag. Zu diesem Anlass zeigte Arte eine Doku über den deutschen Stummfilmklassiker, erzählt von niemand Geringerem als dem untoten Protagonisten persönlich.
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Selbstfindungstrip eines Untoten
Manchmal empfiehlt man Filme, ohne diese selbst gesehen zu haben. Im konkreten Fall war das Nosferatu – Ein Film wie ein Vampir, eine TV-Doku zum 100 Jahre alten Horror-Stummfilm, die am Mittwoch (09.03.2022) gemeinsam mit dem Original bei Arte ausgestrahlt wurde. Nach der Sichtung kann ich ohne Bedenken bestätigen, dass der Tipp keineswegs falsch war. Im Gegenteil: der Film von Regisseur Eric Brinkmann (Wir sind Demokratie) gehört zu den besten Dokumentationen, die ich seit Langem gesehen habe. Der auch als Journalist und Autor tätige Brinkmann erforscht sowohl die Ursprünge und Entstehungsgeschichte des Kinomeilensteins als auch den grenzenlosen Einfluss auf unzählige andere Werke unterschiedlichster Medien. Und der Clou: Graf Orlok persönlich führt durch den Film.
Die Rolle des auch 100 Jahre nach seinem Debüt (und scheinbarem Ableben) noch immer unter den Lebenden wandelnden Blutsauger verkörpert der herrlich furchterregend aussehende Schauspieler Rainer Kühn, der bisher überwiegend auf deutschen Bühnen zu sehen war (vor allem beim Staatstheater in Wiesbaden), aber auch schon die ein oder andere Rolle in Film bzw. Fernsehen spielte, etwa in Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht (2013) von Edgar Reitz. Orlok begibt sich auf eine Odyssee zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zum einen bereist er die Originaldrehorte und schwelgt in Erinnerungen, wobei hier freilich die entsprechenden Filmszenen mit Bildern von Heute kombiniert werden. Außerdem beleuchtet der Film die beiden „Väter“ des Vampirs, Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) und Produzent/Filmarchitekt Albin Grau (1884-1971). Der lange vergessene, unerschöpfliche Nachlass Graus befindet sich in der Kantonsbibliothek im schweizerischen Appenzell. Filmwissenschaftler Dr. Rolf Giesen und Filmhistoriker Friedemann Beyer (von 2001 bis 2007 Vorstand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung) analysieren den historischen Kontext, in welchem Nosferatu entstand und wie dieser das Werk prägte.
Eine Dokumentationen über DEN deutschen Vampirfilm muss zwangsläufig die unzähligen im teils langen Nachhall entstandenen Werke behandeln, etwa die weiteren Verfilmungen des Romans Dracula von Bram Stoker durch Tod Browning (1931, mit Bela Lugosi), Terence Fisher (1958, mit Christopher Lee), Francis Ford Coppola (1992, mit Gary Oldman) oder Werner Herzogs Version von Nosferatu (1979) mit Klaus Kinski. Doch viele weitere Künstler haben sich den Stoff zu Eigen gemacht, wie die sexpositiv-feministische Filmemacherin Ovidie, der Puppenspieler Gerd J. Pohl, Schriftstellerin Dana Grigorcea sowie die Musiker von Blutengel und Nachtblut. Orlok kommentiert jede der Personen, Stationen und Erkentnisse, seine Reaktionen pendeln dabei zwischen Langeweile, Abscheu und Begeisterung. Allzu treffend kommt er zum Entschluss, dass die Menschheit eigentlich keine Monster mehr benötigt, wenn man sich überlegt was diese sich selbst und ihrer Umwelt so alles antut. Vor allem in letzterer Analyse entpuppt sich Brinkmanns Doku als überaus und erschreckend aktuell. Krieg, Unterdrückung, eine noch immer andauernde Pandemie, so sehr unterscheiden sich die historische Situation von 1921/22 gar nicht von denen in unserer Gegenwart. Nosferatu erweist sich so nicht nur als cineastisches Meisterwerk, sondern auch als zeitlose Parabel über den Menschen.
Die Doku Nosferatu – Ein Film wie ein Vampir ist noch bis 02.04.2022 in der Arte-Mediathek abrufbar.
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Nosferatu – Ein Film wie ein Vampir
TV-Dokumentation Deutschland 2022. 75 Minuten.
Mit Rainer Kühn als Orlok u.a. Regie: Eric Brinkmann.
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Credits
Bilder (c) Zeitsprung Pictures/ZDF/Arte.