Einer der Schwerpunkte auf dem 44. Internationalen Filmwochenende in Würzburg war die Retrospektive auf Verfilmungen der Werke des Schriftstellers H.P. Lovecraft (1880-1937). Beim dazugehörigen Kurzfilmblock gab es am Samstag den 27. Januar 2018 unter den Beiträgen sogar eine Weltpremiere…
—
Seit meines kurzzeitigen Germanistikstudiums 2001/02 flammt mein Interesse an klassischer Horrorliteratur (Phantastische Literatur) immer wieder etwas auf. Da bot die Lovecraft-Retrospektive auf dem 44. Internationalen Filmwochenende in Würzburg eine gute Gelegenheit, meinen filmischen Horizont diesbezüglich zu erweitern, nachdem ich vor ein paar Jahren ein paar Stories des amerikanischen Autors gelesen hatte. Das gesamte Prosawerk von Lovecraft besteht bekanntlich aus unzähligen Kurzgeschichten. Daher macht es Sinn diese nicht unbedingt in abendfüllender Länge, sondern besser als Kurzfilme zu verfilmen. Nach dem Langfilm Die Farbe von Regisseur Huan Vu sah ich mir daher den Block an.
Als prominenter Gast im komplett ausverkauften Kinosaal 2 des „Central im Bürgerbräu“ war Sascha Alexander Renninger zugegen. Der aus Unterfranken stammende Diplom-Designer arbeitet vor allem als Storyboard-Artist im Bereich Werbespots und Imagefilme. Durch die Story Das Unnennbare (1925) begann seine Faszination für Lovecraft. 2011 veröffentlichte er den Kurzfilm Shadow Of The Unnamable. Der 16-Minüter wurde 2003 in Arnstein und Würzburg mit wenig Geld gedreht. Die Fertigstellung verzögerte sich allerdings um ein paar Jahre, wie Sascha erzählte, vor allem wegen der zeitaufwändigen Erstellung der visuellen Effekte. Nachdem „Shadow“ den Abend eröffnete, wurde die Vorführung mit einer Weltpremiere beschlossen. Fragment 1890, Saschas zweiter Beitrag, basiert auf einem Traum Lovecrafts, den dieser in einem Brief zu Papier brachte. J. Chapman Miske verarbeitete die Elemente zur Kurzgeschichte Das Ding im Mondlicht (1941). Die Dreharbeiten zu „Fragment“ fanden 2013 und 2014 statt. Finanziert wurde die Produktion teilweise durch Crowdfunding. Nach eigener Aussage plant Sascha seine geplante Lovecraft-Trilogie mit einem dritten Teil zu vollenden, wobei die Vorlage noch unklar sei.
Bevor ich mich nun dem Nachlass eines mir zuvor unbekannten amerikanischen Urgroßonkels zuwende, hier noch kurze Reviews zu den fünf gezeigten Filmen des Abends.
—
Shadow Of The Unnamable
Deutschland 2011. 16 Minuten. Englische Originalfassung. Mit: Robert Lyons, Jeff Motherhead u.a. Drehbuch und Regie: Sascha Renninger. Nach Das Unnennbare.
Neuengland in den 1920er Jahren. Die befreundeten Schriftsteller Randolph Carter und Jeff Manton verbringen einen sonnigen Nachmittag auf einem alten Friedhof aus dem 17. Jahrhundert. Die beiden beginnen über den Wahrheitsgehalt einer 200 Jahre alten lokalen Legende über eine grauenerregende Kreatur, die Carter zu einer Kurzgeschichte inspirierte, zu streiten. Bis die Dunkelheit hereinbricht…
In seinem ersten HPL-Kurzfilm gelingt es Sascha Renninger die Quintessenz der Werke des amerikanischen Schriftstellers herauszuarbeiten, vor allem hinsichtlich des für Lovecraft typischen Erzählaufbaus. Gekonnt montiert der Streifen die Gesprächsszenen mit stimmungsbildenden Friedhofsimpressionen und den visualisierten Erzählelementen. Durch den effektiven Einsatz von unterschiedlicher Tricktechnik wird das Grauen hier nicht entblößt. 8/10.
—
Fragment 1890
Deutschland 2018. 27 Minuten. Engl. Originalfassung mit dt. UT. Mit: Konstantinos Nireas, Peter Bishop, Marie Mayer u.a. Drehbuch und Regie: Sascha Renninger. Nach Das Ding im Mondlicht.
Neuengland in den 1920er Jahren. Dr. Barlow, den Chefarzt der Nervenheilanstalt in Arkham, erreicht eine ungewöhnliche Botschaft. Die junge Patientin Morgan Derletz fungiert als Medium und übermittelt den Hilferuf des Schriftstellers Robert Blake, der durch Drogeneinfluss in einer Traumwelt gefangen ist.
Der zweite Kurzfilm von Sascha Alexander Renninger feierte an jenem Abend seine Weltpremiere. In einer freien Adaption der Motive aus Lovecrafts Werken auf Basis eines Traumes des Schriftstellers setzt die Story auf die gewohnte Meta-Struktur. Trotz der begrenzten Mittel wirken die albtraumhaften Erlebnisse des Pulp-Autor-Protagonisten, der von gesichtslosen Zugschaffnern durch ein Maisfeld verfolgt wird, dank der souveränen Bildsprache und einem erneut starken VFX-Mix alles andere als billig. 8/10.
—
Das Zimmer
(The Room)
Deutschland 2017. 15 Minuten. Mit: Michael R. Scholze, Jonathan Emilian Heck u.a. Drehbuch: Sidney Barth. Regie: Samer Halabi Cabezón. Nach Das Bild im Haus.
Ein Berliner Anthropologie-Student besucht einen pensionierten Wissenschaftler in dessen Wohnung, um ein Interview zu einem umstrittenen Thema zu führen, das jedoch anders verläuft als geplant.
Nach abgeschlossenem Studium sowie mehrjähriger Tätigkeit im Projektmanagement und Marketing begann der 1975 in Saragossa (Spanien) geborene Samer Halabi Cabézon, sich für Multimedia und Filmproduktion zu interessieren. Ab 2014 studierte er Video-Editing und Regie in Berlin. Seine Lovecraft-Adaption Das Zimmer (nicht zu verwechseln mit dem misslungenen „Kultfilm“ The Room von Tommy Wiseau!) verlegt die Handlung in eine beklemmende Berliner Plattenbausiedlung der Gegenwart, wo Menschen auf kleinem Raum aufeinander wohnen, aber den Kontakt zu einander verloren haben. Die Begegnung zwischen Student und altem Mann droht in die Torture-Porn-Ecke zu geraten, bis zum verblüffenden Twist am Ende. 7/10.
—
The Call Of Cthulhu
Stummfilm, USA 2005. 47 Minuten. Mit: Matt Foyer, John Bolen, Ralph Lucas, Chad Fifer, David Mersault u.a. Drehbuch: Sean Branney. Regie: Andrew Leman. Nach Cthulhus Ruf.
Im Nachlass eines kürzlichen verstorbenen Großonkels findet ein junger Mann Unterlagen zu einem mysteriösen Kult, bei welchem in unterschiedlichen Teilen der Welt Menschen einem übernatürlichen Wesen in völlig entfesselten Riten huldigen. Je weiter der Mann nachforscht, desto grauenhafter und unbegreiflicher erscheinen die Ereignisse…
Diese Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte von HPL wurde von Andrew Leman und Sean Branney im Auftrag der H.P. Lovecraft Historical Society (HPLHS) als klassischer Stummfilm im Stile der 1920er Jahre gedreht, als ob er zeitnah nach Veröffentlichung der Vorlage 1926 erschienen wäre. Durch diesen Kniff und die werkgetreue, virtuose Umsetzung der mehrfach verschachtelten Handlung gelingt der 47-Minuten-Featurette der Balance-Akt, den Cthulhu-Mythos einerseits visuell greifbar zu machen, ihn aber gleichzeitig nicht zu entzaubern. Beeindruckend! 9/10.
—
Die Farbe aus dem All
(The Colour Out Of Space)
Deutschland 2017. 5 Minuten. Regie: Patrick Müller. Nach Die Farbe aus dem All.
Der Einschlag eines Meteoriten sorgt für seltsamen Pflanzenwuchs und eine merkwürdige Farbe.
Während Huan Vu die Short Story von Lovecraft als Spielfilm umsetzte und die Handlung nach Deutschland verlegte, wählte Patrick Müller (geboren 1981 in Frankenberg/Sachsen) bei seiner Adaption eine völlig andere Herangehensweise. Müller fing mit einer antiken 16mm-Kamera Naturimpressionen in England ein. Mit eingefügten Zitaten aus der Vorlage als Zwischentitel und einem psychedelischen Score des Elektronikmusikers Wellenvorm entstand daraus eine surreale, experimentell-abstrakte Collage, welche eher als Musikvideo und weniger als narratives Werk funktioniert. 7/10.
—
Weitere Filmkritiken zum 44. Internationalen Filmwochenende in Würzburg
Life Guidance
Dave Made A Maze
Die Farbe
—
Credits:
Shadow Of The Unnamable / Fragment 1890 (c) Church Hill Pictures
Das Zimmer (c) Filmarche Berlin e.V.
The Call Of Cthulhu (c) HPLHS Pictures
Die Farbe aus dem All (c) Patrick Müller