Es wird höchste Zeit, meine Rezensionsreihe zur unnachahmlichen Tilda Swinton wieder aufzunehmen. Nicht nur weil der letzte Beitrag schon neun Monate zurückliegt. Sondern auch weil der Arthouse-Streamingdienst MUBI aktuell frühe Werke der schottischen Ikone zeigt, wie den 36 Jahre alten Kurzfilm Caprice.
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Lucky im Mode-Wunderland
Im gleichen Jahr wie ihre ersten beiden Spielfilme, das Maler-Biopic Caravaggio von Derek Jarman und Christoph Schlingensief schräger Experimentalfilm Egomania – Insel ohne Hoffnung, war die junge Tilda Swinton auch in Caprice, einem Kurzfilm von Filmemacherin Joanna Hogg, zu sehen.
Lucky (Tilda Swinton) liebt Mode und ihr größter Lebensinhalt ist das wöchentliche erscheinende Modemagazin „Caprice“, welchem sie immer wieder aufs Neue entgegenfiebert. Doch zu ihrer völligen Überraschung gelingt es ihr, das Magazin auf magische Weise zu betreten und die einzelnen Seiten zu erkunden. Dabei macht Lucky faszinierende und zugleich beängstigende Entdeckungen…
Das vorliegende Werk ist der Abschlussfilm von Joanna Hogg (geboren 1960) an der National Film and Television School in England. Ich kenne zwar ansonsten noch keinen Film der britischen Filmemacherin, allerdings liest sich ihre Vita interessant. Nach dem Abschluss inszenierte Hogg bis in die frühen 2000er ausschließlich TV-Produktionen (darunter Episoden der Dauerbrenner Casualty und EastEnders) bevor sie erst 20 Jahre nach Caprice ihr Langfilmdebüt als Regisseurin, Unrelated (2007), veröffentlichte. Es folgten die Filme Archipelago (2010) und Exhibition (2013).The Souvenir (2019), welcher auf Hoggs eigenen Erlebnissen als junge Frau basiert, brachte Hogg und Swinton wieder zusammen. Die Hauptrolle spielte allerdings Tildas Tochter Honor Swinton Byrne (geboren 1997). Seit Jahren warte ich sehnlichst darauf, dass dieses Werk endlich in Deutschland veröffentlicht wird, bisher vergebens. 2021 erschien mit The Souvenir: Part II bereits eine Fortsetzung.
Doch zurück zu Caprice. Die von der ca. 25jährigen Tilda Swinton verkörperte Protagonistin kommt ähnlich wie der Zuschauer aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie im Stile von Alice im Wunderland (nach Lewis Carroll) und Der Zauberer von Oz (nach L. Frank Baum) durch die einzelnen Stationen der phantastischen Mode-Wunderwelt spaziert. Hogg und ihr Team machten das Beste aus einem sicherlich nicht besonders großen Budget, erschaffen dabei eine ganze Reihe von kuriosen surrealen Szenerien und Bilderwelten. Ästhetisch bleibt das Ganze fest in den 1980ern verortet, wenngleich Expressionimus und bunte Technicolor-Filme Pate standen. Anfangs noch mit kindlicher Naivität und Verspieltheit durchstreift die Heldin Lucky die einzelnen Teilbereiche der schönen Modewelt inklusive verführerischer Werbe-Fantasien, nur um im Verlauf der 28 Minuten auch die ein oder andere Schattenseite kennen zu lernen. Zwischenzeitlich wähnt man sich hier auch in einem langen Musikvideo aus den Achtzigern wenn ein Billy Idol-Klon (Robert Parnell, schrieb auch die Songs zum Kurzfilm) seinen neuesten Hit performt. Eine kurioser Ausflug in eine auf Oberflächlichkeiten fixierte Blase. Durch den ständigen Wechsel von Kulissen, Kostümen und Make Up wird hier bereits die später zu ihrem Markenzeichen gewordene Wandelbarkeit von Tilda Swinton quasi vorweggenommen. An ihrer Seite spielte damals mit Bruce Payne (u.a. Dungeons & Dragons [2000]) ein heute ebenfalls nicht ganz unbekannter Akteur. Die Kamera führte damals David Tattersall, später bekannt für seine Arbeit in gleicher Funktion bei The Green Mile (1999) oder Star Wars: Episode III (2005).
Caprice ist aktuell Teil des Angebots von MUBI, neben weiteren Werken mit der schottischen Schauspielerin, wie etwa The Human Voice.
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Caprice
Fantasy/Kurzfilm UK 1986. 28 Minuten.
Mit: Tilda Swinton, Bruce Payne, Rachel Byrd, Marty Cruikshank, Anthony Higgins, Helen Cooper, Robert Parnell, Darlene Johnson u.a. Drehbuch: David Gale und Joanna Hogg. Regie: Joanna Hogg.
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Credits
Bilder (c) NFTS/MUBI.