Seit etwa fünf Jahren verehre ich die musikalische Ausnahmeerscheinung Darja-Kazimira Zimina. Neben düsterer Musik erschafft die lettische Künstlerin auch schaurige Bilderwelten, wie im vorliegenden animierten Kurzfilm über mörderische Schwestern.
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Schwesterliches Schauermärchen
Eine Familie hatte vier Kinder, einen Sohn und drei Töchter. Während die beiden älteren Töchter nicht sehr ansehnlich waren wurde die Jüngste zu einer echten Schönheit. Dies erregte die Eifersucht der beiden älteren Schwestern. Sie ermordeten die jüngste Schwester und ließen ihren Leichnam im Wald zurück. Ein blinder Musiker fand den toten Körper und weil er ihn für den eines Schafes hielt schuf er daraus eine neue Lyra. Das Instrument begann von selbst zu spielen und das traurige Schicksal des toten Mädchens zu besingen. Schließlich erfuhren auch die Eltern und der Bruder der Getöteten davon…
Darja-Kazimira Zimina stammt aus Lettland, aus einer Familie mit russisch-ukrainischen Wurzeln. Seit ein paar Jahren lebt die Multimedia-Künstlerin in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Im Kern ihrer überaus düsteren Kompositionen und finsteren Bilder steht der Versuch antike Rituale zu Tod, Fruchtbarkeit und „heiliger“ Gewalt anhand abstrakter Improvisationen mit meist selbstgebauten Instrumenten wieder zum Leben zu erwecken. Dazu versetzt sich Darja in einen transformativen Zustand, in welchem Mächte aus längst vergangener Urzeit durch ihren Körper zu sprechen scheinen. Das Resultat: absolut dunkle Unterweltmusik, Millionen Lichtjahre vom Mainstream entfernt. Darjas absolut urtümliche Altstimme erinnert dabei an eine schwarze Mischung aus Mystery of the Bulgarian Voices, Diamanda Galas und Lisa Gerrard (Dead Can Dance).
In diversen Reviews im kleinen Musikfanzine Bad Alchemy habe ich mich mit ihren musikalischen Arbeiten befasst und sie für Nr. 111 (erschienen im August 2021) auch interviewen dürfen. Doch auch im Erschaffen schauriger visueller Kunstwerke, entweder als Fotografien unter furchtlosem Einsatz des eigenen Körpers, oder als gruselige Zeichnungen, tut sich Darja hervor. Für den vorliegenden experimentellen animierten Short wurde von ihr, wie es der Titel verrät, ein ukrainisches Märchen über Schwestermord adaptiert. Wenn man sich die Welt der Märchen abseits vom verharmlosten Disney-Kitsch genauer ansieht, offenbaren sich brutale Geschichten und Abgründe. Dem wird DKZ mit ihrem Kurzfilm mehr als gerecht. Die ohnehin schon heftige Story wird mit blutigen, albtraumhaften Animationen noch schauriger zum Leben erweckt, wobei Darja hier mit ihrer herrlich tief-durchdringenden Stimme als Erzählerin fungiert und natürlich auch für die musikalische Untermalung verantwortlich zeichnete.
Das Motiv der eifersüchtigen alteren Schwester(n) findet sich auch in diversen anderen europäischen Kulturkreisen, etwa in schwedischen, isländischen und slowenischen Erzählungen. Zu den Kinder- und Hausmädchen der Gebrüder Grimm gehört Der singende Knochen, in welchem ein Bruder den anderen erschlägt und Knochen des Getöteten zum Mundstück eines Horns verarbeitet werden. Ebenfalls auf die Schwester-Konstellationen geht die englische Murder Ballad The Twa Sisters zurück, welche die Kanadierin Loreena McKennitt für ihren Song The Bonny Swans (1994) adaptierte, wobei das Opfer in eine Harfe verwandelt wird.
Als Schlüssel in der ukrainischen Version des Märchens fungiert freilich der blinde Lyra-Spieler (ukrainisch: кобзар, kobzar), der dank seiner Gabe Kontakt zur Welt der Toten aufnehmen kann. Dieser Typus des Musikers ähnelt dem antiken griechischen Aoiden, wie in den Werken Homers beschrieben. Im vergangenen Jahr hat Darja-Kazimira Zimina drei weitere experimentelle Kurzfilme veröffentlicht, als Begleitmaterial zu ihrem Album Medea Forgives Jason, einer eigentümlichen Neuinterpretation der Argonautensage aus der Klassischen Griechischen Sagenwelt.
Ukrainian Tale About the Murdered Sister kann man sich HIER kostenlos bei Youtube ansehen. Das Video enthält englische Untertitel.
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Ukrainian Folktale About the Murdered Sister
Horror/Animation/Kurzfilm Lettland 2021. 5 Minuten. Konzept, Animation, Musik, Regie: Darja Kazimira Zimina.

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